Labour law 01/2024
Current case law
I. BAG Urt. vom 13.12.2023 – 5 AZR 137/23
Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Zunächst hatte das BAG mit Urteil vom 08.09.2021 (5 AZR 149/21) den Beweiswert einer passgenau für die Kündigungsfrist einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für erschüttert erklärt (vgl. Mandanteninformation 01/2022). Nunmehr hat das Bundesarbeitsgericht in der oben angeführten Entscheidung auch ausgeurteilt, dass der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei einer Krankmeldung nach einer Arbeitgeberkündigung erschüttert sein kann. Indizien für eine Erschütterung sind der zeitliche Gleichlauf der Krankmeldung nach der Kündigung sowie deren passgenaue Fortdauer bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses. Dabei ist es unerheblich, ob die Krankschreibung in einem oder mehreren Attesten erfolgt. Maßgeblich bleiben jedoch immer die Umstände des Einzelfalls, betont das Bundesarbeitsgericht.
II. BAG Urt. vom 28.06.2023 – 5 AZR 335/22
Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Mit der vorzitierten Entscheidung stellt das Bundesarbeitsgericht klar, dass Verstöße bei der Ausstellung eines Attestes gegen die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern können. So soll die Arbeitsunfähigkeit für eine vor der ärztlichen Inanspruchnahme liegende Zeit grundsätzlich nicht bescheinigt werden. Eine Rückdatierung des Beginns der Arbeitsunfähigkeit auf einen vor dem Behandlungstermin liegenden Tag ist ebenso wie eine rückwirkende Bescheinigung über das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit nur ausnahmsweise und nur nach gewissenhafter Prüfung und in der Regel nur bis zu drei Tagen zulässig. Verstößt die attestierte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gegen diese Vorgabe der Arbeitsunfähigkeits-RL, ist der Beweiswert erschüttert und die Beweislast für das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit liegt beim Arbeitnehmer.
III. BAG Urt. vom 16.02.2023 – 8 AZR 450/21
Equal-Pay-Lohngerechtigkeit
Mit dem vorzitierten Urteil, welches in den Medien eine sehr große Resonanz gefunden hat, stellt das Bundesarbeitsgericht noch einmal klar: Gleiche Tätigkeiten müssen gleich vergütet werden. Legt eine Arbeitnehmerin im Prozess dar, dass die Vergleichsgruppe aus Männern höher bezahlt wird, wird eine Diskriminierung gem. § 22 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) vermutet. Dabei wird auch der Einwand des Arbeitgebers nicht berücksichtigt, das Gehalt der höher bezahlten männlichen Arbeitnehmer sei das Ergebnis von Vertragsverhandlungen. Alleine diese Argumentation kann die Vermutung der Diskriminierung wegen des Geschlechtes nicht widerlegen. Auch im Hinblick auf die Vorgaben des seit Juni 2017 geltenden Gesetzes zur Förderung der Entgelttransparenz zwischen Männern und Frauen (Entgelttransparenzgesetz) ist Arbeitgebern anzuraten, jedenfalls außerhalb der Anwendungsbereiche von Lohn- oder Gehaltstarifverträgen einheitliche Entgeltgruppen zu bilden.
IV. BAG Urt. vom 31.01.2023 – 9 AZR 456/20
Urlaubsabgeltungsanspruch unterliegt der Verjährung
Nach § 7 Abs. 3 S. 3 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) erlischt der gesetzliche Urlaubsanspruch grundsätzlich im laufenden Arbeitsverhältnis nach Ablauf der ersten drei Monate des auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres. Nach der Entscheidung des BAG vom 20.12.2022 (9 AZR 266/20) gilt dies nicht, wenn der Arbeitgeber seinen Hinweis- und Mitwirkungsobliegenheiten bei der Urlaubsgewährung nicht nachgekommen ist (vgl. hierzu: Mandanteninformation 04/2019). Nunmehr hat das BAG mit dem oben angeführten Urteil vom 31.01.2023 entschieden, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch auch dann der regelmäßigen Verjährung unterliegt, wenn der Arbeitgeber während des laufenden Arbeitsverhältnisses seiner Hinweis- und Mitwirkungsobliegenheit bei der Urlaubsgewährung nicht nachgekommen ist. Das BAG differenziert also zwischen dem Anspruch auf Urlaubsgewährung während des laufenden Arbeitsverhältnisses und dem Urlaubsabgeltungsanspruch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei der Frage der Verjährung bzw. des Verfalls.
V. BAG Urt. vom 31.03.2023 – 9 AZR 244/20
Urlaubsabgeltungsanspruch und tarifvertragliche Ausschlussfrist
Das Bundesarbeitsgericht hat ebenfalls am 31.03.2023 zum Urlaubsabgeltungsanspruch und tariflichen Ausschlussfristen entschieden, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch nicht nur der Verjährung (s.o.) unterliegt, sondern auch den tariflichen Ausschlussfristen unterworfen ist, selbst dann, wenn der Arbeitgeber die ihm obliegende Hinweis- und Mitwirkungsobliegenheit nicht erfüllt hat. Auch wenn sich die Entscheidung nur auf tarifvertragliche Ausschlussfristen bezieht, geht die h. A. davon aus, dass die Entscheidung auch auf vertraglich vereinbarte arbeitsvertragliche Ausschlussfristen zu übertragen ist. D.h. der Urlaubsabgeltungsanspruch unterliegt tarifvertraglichen und arbeitsvertraglichen Ausschlussfristen.
VI. LAG Hamm Urt. vom 27.01.2023 – 13 Sa 1007/22
Fristlose Kündigung wegen Arbeitszeitbetruges
Die fristlose Kündigung eines Schwerbehinderten und seit 10 Jahren beschäftigten Arbeitnehmers wegen eines 10-minütigen Arbeitszeitbetruges kann auch ohne vorherige Abmahnung wirksam sein. Dabei stellte die Kammer des LAG Hamm bei der Entscheidung aber auch auf das „Nachtatverhalten“ der Arbeitnehmerin ab, die ihr Handeln bei Konfrontation zunächst abgestritten hatte.
VII. LAG Hamburg Urt. vom 16.01.2023 – 5 Sa 14/22
Wechsel von Zielvereinbarung zu Zielvorgabe
Eine (häufig anzutreffende) arbeitsvertragliche Regelung, wonach bei fehlender Einigung über die Ziele einer Zielvereinbarung automatisch ein Recht des Arbeitgebers zur einseitigen Vorgabe der Ziele erfolgt, ist mit Blick auf die Vorgaben des AGB-Rechts (§§ 305 ff. BGB) unwirksam, da intransparent. In der zur Entscheidung anstehenden Vertragsklausel fehlte die erforderliche Bestimmung von rechtlichen Voraussetzungen dafür, wann die Ziele zwischen den Parteien als nicht vereinbart gelten sollten.
Lawyer Dr. jur. Wolfgang Leister
Specialist lawyer for labour law