Current EU state aid law
Der Europäische Gerichtshof („EuGH“) hat mit Urteil vom 13. Juni 2024 bestätigt, dass die Kommission bei ihrer Beschlusspraxis gehalten ist, das Vorliegen einer Beihilfe abschließend festzustellen. Die Kommission kann also nicht mehr, wie es teils übliche Praxis war, die Frage des Vorliegens einer Beihilfe i. S. d. Art. 107 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union („AEUV“) offenlassen und stattdessen annehmen, dass selbst beim Vorliegen einer staatlichen Beihilfe davon auszugehen sei, dass eine der Rechtfertigungsmöglichkeiten für eine Beihilfe greife.
Der EuGH bestätigt damit eine Entscheidung des Gerichtes der Europäischen Union („EuG“) vom 16. November 2022. In der dortigen Rechtssache beantragte das Königreich der Niederlande die Nichtigerklärung eines Beihilfenbeschlusses der Kommission. In jenem Beschluss hat die Kommission nicht abschließend entschieden, ob eine staatliche Beihilfe vorlag; sie hat dies vielmehr offengelassen und ausgeführt, dass selbst beim Vorliegen einer staatlichen Beihilfe die Maßnahme mit dem Binnenmarkt vereinbar sei, da die Ausnahme von Art. 107 Abs. 3 lit. c AEUV greife. Hiergegen wendete sich die Klägerin u. a. mit den Argumenten, dass die Kommission damit ihre Befugnis überschritten und gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoßen habe. Dieser Argumentation folgte damals das EuG und erklärte den Beschluss der Kommission für nichtig. Der EuGH bestätigte nun diese Entscheidung und stellte klar, dass der Begriff der Beihilfe in Art. 107 Abs. 1 AEUV nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch verwendet werde. Im Kontext der Rechtfertigung nach Art. 107 Abs. 3 AEUV sei der Beihilfenbegriff allerdings auf staatliche Beihilfen bezogen – damit also auf Beihilfen, die die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllen. Für die Anwendung des Art. 107 Abs. 3 AEUV muss daher feststehen, ob eine Beihilfe i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV vorliegt.
Für die Rechtsanwendungspraxis ist durch die Entscheidung des EuGH nun Rechtssicherheit entstanden. Sowohl die Beihilfenempfänger als auch die staatlichen Stellen, die Beihilfen anmelden, können sich künftig darauf einstellen, dass das Vorliegen einer Beihilfe durch die Kommission abschließend geprüft wird. Die Kommission hat im Verlauf des Klageverfahrens zwar betont, dass es für die Verfahrensbeteiligten effizienter sein könne, wenn das Vorliegen einer Beihilfe bei einem offensichtlichen Eingreifen einer der Rechtfertigungstatbestände offengelassen werde. Nach der Entscheidung des EuGH ist nun aber klar, dass dies kein tragfähiger Grund für die Ausnahme von einer abschließenden Prüfung des Vorliegens einer Beihilfe sein kann. Beihilfeempfänger können daher sicher sein, dass das Vorliegen einer Beihilfe im Rahmen des Notifizierungsverfahren abschließend entschieden wird. Sie müssen aber zugleich damit rechnen, dass durch die Entscheidung des EuGH der Aufwand für die Kommission steigen und sich damit das Notifizierungsverfahren zeitlich verzögern kann.
Lawyer Dr. Dr. Malte Seyffarth