Sorry, your browser does not support inline SVG. Menü

Arbeitsrecht 03/2023

Aktuelle Rechtsprechung

I. BAG vom 24.08.2023
Kündigung wegen Äußerung in einer geschlossenen Chatgruppe – 2 AZR 17/23 –

Das BAG hat am 24.08.2022 eine für die Praxis wichtige Entscheidung getroffen, wonach rassistische, sexistische und gewaltverherrlichende Äußerungen über Vorgesetzte und Kollegen auch in einer geschlossenen Chatgruppe einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses darstellen können. Anders als die Vorinstanzen hat das BAG eine „berechtigte Vertrauenserwartung“ des die Äußerung verfassenden Arbeitnehmers abgelehnt, weil dieser im Prozess nicht dargelegt habe, warum er erwarten konnte, dass die inkriminierten Äußerungen von keinem Mitglied der Chatgruppe weiterverbreitet würden. Das bedeutet im Klartext: Die Menschenwürde verachtende Äußerungen über Vorgesetzte und Kollegen können auch dann kündigungsrelevant sein, wenn solche Äußerungen in einer geschlossenen Chatgruppe oder einem ähnlichen sozialen Medium, welches nur einer begrenzten Anzahl von Mitgliedern zugänglich ist, verfasst werden.

II. BAG vom 29.06.2023
Kein Verwertungsverbot bei offener Videoüberwachung – 2 AZR 296/22 –

Die durch Aufzeichnungen offener Videoüberwachung gewonnen Erkenntnisse, die ein vorsätzliches vertragswidriges Verhalten eines Arbeitnehmers belegen, unterliegen keinem Sachvortrags- und Verwertungsverbot und können daher im Kündigungsschutzprozess von den Gerichten verwendet werden. Das gilt selbst dann nach dem vorzitierten Urteil des BAG, wenn die Videoüberwachung nicht in jeder Hinsicht den Vorgaben des Bundesdatenschutzgesetzes und der DS-GVO entspricht. Überdies sind betriebliche Regelungen in Betriebsvereinbarungen gem. § 134 BGB nichtig, die ein Verbot beinhalten, entsprechend gewonnene Erkenntnisse aus einer Videoüberwachung zu verwerten bzw. in einen Kündigungsschutzprozess einzuführen. Den Betriebspartnern, also Betriebsrat und Arbeitgeber, fehlt nach der Rechtsprechung des BAG schlicht die Regelungsmacht, über das gesetzliche Verfahrensrecht (Zivilprozessordnung) hinausgehende Verwertungsverbote zu begründen.

Das Bundesarbeitsgericht folgt seiner Linie weiterhin, wonach der Datenschutz keinen Täterschutz bezweckt.

Anmerkung: Schon 2002 hatte das BAG zur heimlichen Videoüberwachung entschieden, dass auch diese keinem Verwertungsverbot unterliege, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zulasten des Arbeitgebers besteht, weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ausgeschöpft sind oder nicht in Betracht kommen und somit die Videoüberwachung praktisch das einzige verbleibende Mittel darstellt, einen Verdacht aufzuklären.

III. BAG vom 25.07.2023
Zum Arbeitnehmerbegriff im Urlaubsrecht – Fremdgeschäftsführer einer GmbH – 9 AZR 43/22 –

Das BAG hat mit Urteil vom 25.07.2023 entschieden, dass ausschließlich der sog. unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff maßgeblich ist für die Frage, ob das Bundesurlaubsgesetz auf Fremdgeschäftsführer einer GmbH Anwendung findet. Nach diesem unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff ist als Arbeitnehmer jeder anzusehen, der während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisungen Leistungen erbringt und hierfür als Gegenleistung eine Vergütung erhält (EuGH 26.03.2015 – C-316/13). Demnach können auch Mitglieder eines Leitungsorgans einer Kapitalgesellschaft Arbeitnehmer des unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs sein.

Soweit die vorgenannten Voraussetzungen einer weisungsgebundenen Tätigkeit bei einem Fremdgeschäftsführer einer GmbH vorliegen, gelten für diesen auch die Vorschriften des Bundesurlaubsgesetzes und mithin u.a. der Anspruch auf Urlaubsabgeltung nach § 7 IV BUrlG. Das Bundesurlaubsgesetz findet also auf alle Fremdgeschäftsführer Anwendung, bei denen die Voraussetzungen des unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs erfüllt sind.

Anmerkung: Mit diesem Urteil vollzieht das BAG den nächsten Schritt dahin, wesentliche Arbeitnehmerrechte, die unionsrechtlich vorgegeben sind, auf Fremdgeschäftsführer inhaltlich zur Anwendung zu bringen. Auch der Gesetzgeber bewegt sich in diese Richtung, so z.B. mit dem neuen Mutterschutzgesetz, das hinsichtlich der Anwendbarkeit nicht mehr an die Arbeitnehmereigenschaft anknüpft, sondern an die Sozialversicherungspflicht. Diese betrifft bekanntlich auch Fremdgeschäftsführer.

Rechtsanwalt Dr. jur. Wolfgang Leister
Fachanwalt für Arbeitsrecht